Apographa epistolarum – Die Kategorisierung der Tegernseer Handschrift Clm 19697 verweist knapp auf den Inhalt des spätmittelalterlichen Codex, der zu großen Teilen aus Briefabschriften des 15. Jahrhunderts besteht. Die vorliegende Untersuchung bietet eine Regesten-Edition dieser Briefsammlung sowie eine kodikologische und inhaltliche Untersuchung der gesamten Handschrift. Bei den Fragen nach der Konzeption und Rezeption des Codex im 15. Jahrhunderts liefert ein Vergleich mit anderen Briefsammlungen wichtige Erkenntnisse. Die Betrachtung richtet sich nicht nur auf spätmittelalterliche Handschriften, sondern bezieht unter anderem die berühmte Tegernseer Briefsammlung des 12. Jahrhunderts mit ein. Eine besondere Rolle spielen dabei die artes dictaminis und das Verhältnis von echten und fiktionalen Briefen. Anhand von ausgewählten Themenkomplexen werden die Briefe außerdem inhaltlich ausgewertet und in ihrem historischen Entstehungszusammenhang verortet. Dadurch kann das Bild, das in der Forschung über die Rolle des Klosters Tegernsee bei der Verbreitung der Melker Reform gezeichnet wurde, konkretisiert werden. Abschließend wird die Briefsammlung mit den großen Reformbewegungen des 15. Jahrhunderts in Bezug gesetzt. Ausgehend von einzelnen Tegernseer Briefen zeigt sich letztlich, dass sich sowohl einzelne Briefe und Personen als auch der Codex im Ganzen einer eindeutigen Zuordnung zu Begriffen wie „Humanismus“, „Devotio moderna“ oder „Klosterhumanismus“ verweigern und dass eine solche Kategorisierung der Vielschichtigkeit der geistigen Kultur des 15. Jahrhunderts nicht gerecht wird.
Über den Autor
Teresa Agethen studierte von 2007 bis 2012 Klassische Philologie und Germanistik und schloss ihr Studium an der Ludwig-Maximilians-Universität in München mit dem ersten Staatsexamen ab. Anschließend arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Langfristprojekt „Diskurs und Gemeinschaft. Die Schriften Bernhards von Waging im Kontext der spätmittelalterlichen Reformprozesse“. Dort war sie in erster Linie für die Edition der Briefe Bernhards von Waging zuständig, beschäftigte sich darüber hinaus jedoch auch mit den Fragen zur Umsetzung digitaler Editionen. So zählen zu ihren Forschungsschwerpunkten neben der Überlieferungssituation spätmittelalterlicher Briefsammlungen auch die verschiedenen Reformdiskurse des 15. Jahrhunderts sowie die Digital Humanities mit dem Fokus auf der Editionsphilologie.