Im Jahr 1813 gingen im westfälischen Städtchen Dülmen Gerüchte um, die ehemalige Nonne Anna Katharina Emmerick weise die fünf Wundmale Christi auf und erlebe die Passion Christi am eigenen Leib und in Visionen. Die Gerüchte verbreiteten sich schnell und sorgten für öffentlichkeitswirksame Auseinandersetzungen mit den Wunden, deren Deutung und Herkunft. Hier traten die neue preußische Provinzialregierung unter dem Oberpräsidenten Ludwig von Vincke und empiriegeleitete Mediziner in vielschichtige publizistische Konflikte mit der Bistumsleitung Münster unter Clemens August Droste zu Vischering. Auch der romantische Dichter Clemens Brentano engagierte sich literarisch in diesen Debatten und veröffentlichte mehrere Schriften zu den Dülmener Ereignissen. Dabei nutzten alle Parteien Anna Katharina Emmerick und ihre Wunden, um offene Fragen der Zeit wie die Trennung von göttlicher und weltlicher Sphäre, das Wesen Gottes und der Welt sowie verschiedene säkulare und sakrale Rationalitäten zu diskutieren. Darüber hinaus versuchten die Akteure, konkrete eigene Herrschafts- und Zuständigkeitsansprüche über die Deutung des Falls durchzusetzen. Die Studie analysiert diese vielschichtigen Debatten, um wichtige sattelzeitliche Aushandlungsprozesse, die weit über Dülmen hinausstrahlten, sichtbar zu machen.
Astrid Albert ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Seminar der Bergischen Universität Wuppertal; Studium der Geschichte und der Anglistik/Amerikanistik an der Bergischen Universität Wuppertal und der University of Stirling (Schottland)