Das Gedenken an Thomas Müntzer war ein prägender Bestandteil der Erinnerungskultur der DDR. In ihrer Suche nach Anknüpfungspunkten für die Konstruktion einer DDR-spezifischen Traditionslinie begann die SED bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, den mitteldeutschen Reformator für sich zu entdecken. Für den jungen Staat, der sich auf einem Territorium konstituierte, das kulturell so stark durch die Erinnerung an Martin Luther geprägt war, sollte unter Zuhilfenahme aller zur Verfügung stehenden propagandistischen Mittel und Methoden ein neuer Held der Reformationsära geschaffen werden. Es galt, Luther als historische Identifikationsfigur durch Thomas Müntzer zu ersetzten. Mit Hilfe des ebenfalls neu konzipierten Erklärungsmodells der Frühbürgerlichen Revolution sollte die gesamte Epoche einer Neuinterpretation unterzogen, Müntzer und auch Luther hierbei eine Position im Rahmen der marxistischen Metaideologie über die gesetzmäßige Entwicklung der Geschichte zugewiesen werden. Doch nachdem Luther zunächst nur als historische Unperson ins eigene Traditionsbild aufgenommen wurde, entschied sich die SED im Zuge des Reformationsjubiläums 1967, auch die Erinnerung an den Wittenberger Reformator propagandistisch für die DDR zu instrumentalisieren. Von nun an sollte neben Müntzer auch Luther als historischer Kronzeuge der DDR herhalten müssen. In dieser Arbeit werden die Methoden untersucht, mit welchen die SED bis 1989 versuchte, ihre Geschichtspolitik im ostdeutschen Teilstaat umzusetzen und eine neue, marxistische Erinnerungskultur zu kreieren.
Pressestimmen
„Die detailreiche Studie ist dem Leser sehr zu empfehlen, vor allem deshalb, weil sie zum
weiteren Durchdenken und Diskutieren des historiographischen Konstrukts »Frühbürgerliche
Revolution« und dessen Wirkungsgeschichte in der Gesellschaft anregt.“ Joachim Bauer in: Zeitschrift für Thüringische Geschichte 66/2012
„Alexander Fleischhauer hat seine Untersuchung auf einer umfassenden Literaturrecherche aufgebaut, daneben die einschlägigen Archive benutzt, Filmmaterial gesichtet und mit einem halben Dutzend Zeitzeugen Interviews geführt. Das Ergebnis ist in methodischer Sicht ein großer Gewinn für die zeitgeschichtliche Forschung.“ Haik Thomas Porada in: Die Politische Meinung, März 2012