Heimkindern wurden in den Nachkriegsjahrzehnten Medikamente nicht allein aus therapeutischen Gründen verabreicht. In vielen Einrichtungen wurden neue Arzneimittel an Heimkindern getestet, zum Teil unter Inkaufnahme erheblicher Nebenwirkungen. Zudem setzten Ärzte und Erzieher Medikamente als Disziplinierungsmittel ein.
Der Historiker Uwe Kaminsky und die Ethikerin Katharina Klöcker beleuchten am Beispiel des Franz Sales Hauses in Essen die lange Zeit verschwiegenen Formen des Medikamentenmissbrauchs in der Heimerziehung der 1950er und 1960er-Jahre. Aktenrecherchen und Zeitzeugeninterviews vermitteln ein umfassendes Bild verschiedener Formen des Medikamenteneinsatzes.
Auf der Grundlage der historischen Rekonstruktion wird in diesem Buch erstmals eine ausführliche ethische Bewertung der Medikamentengaben im Heimkontext unter Berücksichtigung des zeitgeschichtlichen Kontextes vorgenommen. Dabei erweist sich die gleichzeitige Berücksichtigung von sozial-, institutionen- und individualethischen Dimensionen als zielführend. Das Autorenteam will mit der vorliegenden Studie einen Beitrag zur Anerkennung des Leids der ehemaligen Heimbewohner leisten und zugleich das Bewusstsein für mögliche Formen des Medikamentenmissbrauchs auch in der Gegenwart schärfen.
Über den Autor
Uwe Kaminsky, Historiker, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Christliche Gesellschaftslehre an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum
Katharina Klöcker, Theologin und Journalistin, seit 2015 Juniorprofessorin für Theologische Ethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum.