Nirgendwo im frühneuzeitlichen Europa wurden so viele Hochverratsprozesse geführt wie in England. In dieser Studie geht es allerdings nicht um die Geschichte der repressiven Justiz. Vielmehr wird gezeigt, wie sich über einen Zeitraum von rund 300 Jahren überhaupt erst die Macht von Gerichtsverfahren herausbildete, verbindliche Entscheidungen zu treffen. Die englischen Hochverratsprozesse stehen damit beispielhaft für die Ausdifferenzierung juridischer Prozeduren, auf denen moderne Staatlichkeit beruht. Die Macht der Verfahren bekamen nicht nur die Angeklagten zu spüren, sondern in einem zunehmenden Maße die obrigkeitlich-staatlichen Verfahrensveranstalter auch. Gängige modernisierungstheoretische Annahmen über die rechtsgeschichtliche Entwicklung werden hier gegen den Strich gebürstet, insofern gezeigt wird, dass Gerichtsverfahren im Übergang zur Moderne nicht nur gerechter, sondern auch mächtiger wurden und sich gegen Einflüsse aus ihrer sozialen Umwelt abschotteten. Die Arbeit ist zugleich ein neuartiger und innovativer Beitrag zur Kulturgeschichte des Rechts, die die Praxis der Gerichtsbarkeit in ihren kommunikativen, medialen und sozio-materiellen Dimensionen beobachtet. Sie ist ebenso ein Beitrag zum Verhältnis von Justiz, Druckpublizistik und Öffentlichkeit wie zur Geschichte der Todesstrafe. Nicht zuletzt wird gezeigt, wie vor Gericht über Szenarien kollektiver Bedrohung, über Verschwörungen und Verschwörungstheorien verhandelt und entschieden wurde.
Über den Autor
André Krischer studierte Geschichte, Philosophie und Anglistik in Köln, Bonn und Münster, wo er 2005 promoviert wurde. Anschließend war er ebendort wissenschaftlicher Geschäftsführer des Leibniz-Projekts „Vormoderne Verfahren“, W1-Professor für die Geschichte Großbritanniens, Teilprojektleiter am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ und am SFB 1150 „Kulturen des Entscheidens. Er lehrt Neuere Geschichte am Historischen Seminar der WWU.
Pressestimmen
Benedikt Stuchtey, in: Historische Zeitschrift 308 (2019), 146f.:
“André Krischer [legt] mit seiner exzellenten Studie ein Musterbeispiel der Analyse der Innen- und Außenräume des Gerichts vor […].
Ronald G. Asch, in: Zeitschrift für Historische Forschung 45 (2018), 357-359:
“Krischer hat eine sowohl material- wie auch außerordentlich gedankenreiche Studie vorgelegt. Mit großer Beharrlichkeit folgt er seiner eingangs formulierten Fragestellung.”
Thomas-M. Seibert, in: Der Staat 57 (2018), 491-495:
“Sein Gang durch einzelne Verfahren wie jene von Nicholas Throckmorton, John Lilburne oder Henry „Orator“ Hunt gibt ein Vorbild für das ab, was er selbst „mikrohistorische Analyse“ nennt. […] Krischer thematisiert den historischen Prozess funktionaler Differenzierung, und dafür muss man ihm dankbar sein, auch wenn die Machtfrage offen bleibt. Denn seine Geschichtserzählung ist keine Fortschrittserzählung und möchte so auch nicht verstanden werden (S. 606). Krischer konzentriert die für ihn wesentlichen Aspekte in einer eindringlichen Ergebnissstudie (S. 603–615) und versteht das Ganze als „Kulturgeschichte der Rechtspraxis“ (S. 604), deren Zerbrechlichkeit er am Ende als Historiker betont. Es bleibe „abzuwarten“ (S. 615), ob die ausdifferenzierte Macht der Verfahren gegenüber einem vermeintlich exekutierbaren „Volkswillen“ aufrechterhalten bleibe. In der Wartezeit sollte Krischers Darstellung gewürdigt werden – auch von Juristen.”
Mark Cornwall, in: The English Historical Review 135 (2020), 492–495:
“This is a methodical and insightful study of how, through periodic treason trials, English court procedures were not static but slowly evolved and thereby helped to shape our modern system of justice. Equally important, Krischer has written a new type of history of English treason, revealing that the ‘power of procedure’ could both enhance and circumscribe the regime’s ability to convict and remove political opponents. His is an approach rich in its detail of the traitors’ stories. It is also, in its scrutiny of court procedures, a model which can very profitably be transposed to the history of treason in other countries.”
Lena Oetzel, in: MIÖG 128 (2020), 204-206:
“Krischer legt eine beeindruckend detaillierte, durchdachte und dichte Studie zu englischen
Hochverratsprozessen vor und zeigt damit eindrücklich, wie sich eine Kulturgeschichte des
Rechts und der Rechtspraxis schreiben lässt.”
Georg Steinberg, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 137 (2020), 609-611:
“Mit diesem großartigen Buch ist der Autor 2015/16 vom Fachbereich Geschichte/ Philosophie der Universität Münster habilitiert worden. … Diese kleine Rezension erfüllt ihren Zweck, wenn sie zeigt, mit welcher Souveränität (im Handwerklichen selbstverständlichuntadelig) Krischer neue große Linien aus dem Material gewinnt und in jeder Hinsicht seinen Anspruch einlöst, einen „Beitrag zur Kulturgeschichte des Rechts und der Rechtspraxis“ zu leisten, der bisher nicht berücksichtigte „Fragen, Methoden und Perspektivenstellt und einbezieht“ (4f.). Der Beitrag führt zu Fragestellungen, die für die weitere Erforschung auch der Geschichte des deutschen Strafprozesses zu formulieren sind, und er warnt vor der perspektivischen Verengung auf das Dogmengeschichtliche, indem eraufzeigt, wie reichhaltig die Erträge bei weiter gespannter Sicht sind” (online).