Mit großem Aufwand denkt die systematische Theologie über Menschwerdung, Sterben und Auferstehung Jesu nach. Die Ereignisse dazwischen werden nicht selten ignoriert. Im Frankreich der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts gibt es dagegen wenigstens im spirituellen Bereich ein breites Interesse am Leben Jesu. Wie dieses Interesse genau aussah und wie es sich theologisch begreifen lässt, ist Gegenstand der vorliegenden Studie. Ausgehend von Texten unterschiedlicher Gattungen versucht sie eine Antwort auf die Frage zu geben, ob und wie die einzelnen Ereignisse des Lebens Jesu für das Heil der Menschen Relevanz haben können.
Hätte es nicht ausgereicht, wenn Jesus geboren worden, gestorben und auferstanden wäre? Hat das – von den Evangelien teils recht ausführlich erzählte – Leben dazwischen überhaupt theologische Relevanz? Im Blick auf die sogenannte École française de spiritualité und ihren Entstehungskontext im Frankreich der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts geht die vorliegende Studie dieser Frage nach. Ausgangspunkt ist dabei die Beobachtung, dass zwar in der dogmatischen oder akademischen Theologie auch dieser Zeit das konkrete Leben Jesu kaum eine Rolle spielt, es aber im Bereich der Spiritualität im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Anhand der Auseinandersetzung mit Texten verschiedener Autorinnen und Autoren, die unterschiedliche Gattungen repräsentieren, wird deutlich, welche genuin theologische Bedeutung das Leben Jesu haben könnte. In der Konfrontation mit jüngeren und älteren Antwortversuchen auf die Frage nach dem konkreten Menschsein Jesu bieten die gewonnenen Erkenntnisse neben ihrem theologiegeschichtlichen Wert der systematischen Theologie auch Ansatzpunkte für eine zeitgenössische Deutung des Lebens Jesu.
Über den Autor
Sebastian Lang, geb. 1985, Studium der Katholischen Theologie und der Philosophie in Mainz und Paris, seit 2012 im pastoralen Dienst der Diözese Mainz, 2020 Promotion durch die Kath.-Theol. Fakultät der Universität Mainz, dort zur Zeit Lehrbeauftragter im Fach Dogmatik.