Bei der Bewältigung von Pandemien und Epidemien besitzen religiöse Rituale und Liturgie besonderes Gewicht, wie zuletzt die Corona-Pandemie gezeigt hat. Solche Praktiken deuten das Geschehen, helfen, mit dem Widerfahrenen umzugehen – mit Blick auf Leib und Seele. Sie dienen dabei der Versöhnung zwischen Gott und Mensch, sollen Perspektiven der Hoffnung eröffnen, Orientierung für Leben und Glauben geben, können darin aber auch scheitern. Aufsätze aus Theologie und Kulturwissenschaften gehen diesen Zusammenhängen für die Liturgie und Pastoral verschiedener Jahrhunderte nach. Sie thematisieren u. a. kirchenoffizielle Vorgaben sowie Andachts- und Gesangbücher, Passionsspiele, Wallfahrtspraktiken und Raumbildungsprozesse. Unterschiedliche Medien liturgischer Praxis und Beispiele theologischer Reflexion aus Judentum und Christentum werden untersucht. Liturgie wird dabei als integraler Bestandteil eines religiös geprägten Daseins begriffen. Die Studien zeigen, dass gottesdienstliches und pastorales Handeln nur innerhalb des soziokulturellen bzw. lebensweltlichen Umfelds verstanden und gewichtet werden kann.
Über den Autor
Benedikt Kranemann, Professor für Liturgiewissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt
Lea Lerch, Juniorprofessorin für fränkische Kirchengeschichte und kirchliche Regionalgeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Stephan Winter, Professor für Liturgiewissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Inhaltsverzeichnis
Lea Lerch
Liturgisches und pastorales Handeln angesichts menschlichen Leids in Pandemien und Epidemien seit dem Spätmittelalter. Einleitung
S. 1–10
Liturgische Praxis als Dynamisierung räumlicher Beziehungen
Stephan Winter
„statt der kirchlichen Gottesäcker, [...] sehr tiefe Gruben“. Vorüberlegungen zur Rekonstruktion raumbildender Wirkungen ritueller Praxis im Kontext von Epidemien/Pandemien
S. 11–42
Stefan Böntert
Heilsangst und Reiselust. Theologische und rituelle Akzente der Wallfahrt in Zeiten von Seuchen und Pandemien
S. 43–66
Medien liturgischer Praxis
Fritz Dross
„tröstlich in der Gemeyn zur Zeit der Pestilenz zu singen“. Zur Mediengeschichte reformationszeitlicher Seuchen
S. 67–90
Michael Basse
Reformatorische Vergewisserung in Zeiten der Pest. Rituale im Umgang mit Kranken und Sterbenden
S. 91–112
Benedikt Kranemann
„fuga daemonum, depulsio pestis, et angeli pacis ingressus“. Liturgie und Rituale angesichts von Epidemien seit dem 16. Jahrhundert
S. 113–134
Martin Lüstraeten
Die Pest in evangelischen und katholischen Gebet-, Andachts- und Gesangbüchern der Aufklärungszeit
S. 135–168
Jürgen Bärsch
„Buchstaben gegen die Pest zu tragen ...“. Medien und Riten in der Frömmigkeitspraxis des 17. und 18. Jahrhunderts
S. 169–206
Ruth Langer
Shifting Jewish Liturgical Responses to Plagues
S. 207–230
Geistliches Spiel als spirituell-liturgische Praxis
Beatrice Petrik
Zwischen Pest und COVID-19. Das Oberammergauer Passionsspiel – Wurzeln eines Rituals und gegenwärtige Praxis
S. 231–278
Klaus Wolf
Jesu heilende Hände auf der Bühne. Vormoderne Passionsspiele zwischen Pestgelübde und Pesttraktat
S. 279–292
Theologische Reflexion und das Konzept eines strafenden Gottes
Magdalena Butz
Pastorales Handeln als ärztliches Handeln. Zur Funktionalisierung des Bildfelds vom Priester als medicus animarum im spätmittelalterlichen Buß- und Beichtdiskurs
S. 293–326
Florian Bock
Die Rückkehr eines strafenden Gottes? Die AIDS-Epidemie/-Pandemie in den 1980er und 1990er Jahren und die katholische Kirche
S. 327–348
Rückblick und Ausblick
Stephan Tautz
Vom theopolitischen Gehalt rituellen Handelns in Krisenzeiten. Einige Lektürehinweise
S. 349–366
Autorinnen und Autoren
S. 367–368
Register
Personenregister
S. 369–380
Sachregister
S. 381–387