Eines der wenigen Dokumente, das vom gottesdienstlichen Leben der Grossmünster-Propstei in Zürich aus vorreformatorischer Zeit Zeugnis ablegt, ist neben den von Dietrich W. H. Schwarz 1952 herausgegebenen Statutenbüchern der Liber Ordinarius (Zürich, Zentralbibliothek, Cod. 86), welcher sämtliche liturgischen Funktionen regelt. Er wurde 1260 vom ersten Kantor des Grossmünsters, Konrad von Mure, angelegt, der selber zu den interessantesten Persönlichkeiten des Zürcher Geisteslebens im 13. Jahrhundert gehörte. Der Zürcher Liber Ordinarius spiegelt aber nicht nur die Gottesdienstordnung der Zeit seiner Redaktion mit teilweise sehr altem, aus dem ausgehenden 10. oder beginnenden 11. Jahrhundert stammendem Überlieferungsgut wider, sondern er lässt in seinen zahlreichen Nachträgen auch die weitere Entwicklung erkennen; erst 1520, wenige Jahre vor der Einführung der Reformation, hat das Kapitel seine Ersetzung beschlossen. Über die liturgische Bedeutung hinaus darf dieser Liber Ordinarius zudem hohes landesgeschichtliches Interesse beanspruchen, enthält er doch reichliches Material zur Posopographie, Topographie und nicht zuletzt zur Baugeschichte Zürichs. Eine Arbeitsgruppe von Liturgikern, Historikern und Kunsthistorikern - Christine Barraud-Wiener, Anton Hänggi, Peter Jezler, Pascal Ladner, Heidi Leuppi, Joseph Siegwart und Peter Wittwer - hat die erstmalige Edition dieses Textes vorbereitet und sie mit einem Kommentar versehen, welcher die wichtigsten Probleme erörtert.