Die Machtfrage in den Kirchen erhält durch den Blick auf die verheerenden Folgen von Missbrauch eine neue Dimension und Dringlichkeit. Der Fachbereich katholische Theologie der Goethe-Universität hat sich der Thematik in zwei Tagungen gewidmet und dabei Fragen nach religiös konstituierter Macht und Ohnmacht gestellt. Dabei wurden insbesondere die (mangelnden) Macht- und Verantwortungskultur der Gesamtorganisation „katholische Kirche“ in den Blick genommen. Und zwar sowohl aus sozialwissenschaftlicher wie aus rechtswissenschaftlicher, theologisch-systematischer und theologisch-ethischer Perspektive. Die Beiträge setzen an Schnittstellen theologischer und sozialwissenschaftlicher Macht- und Gewaltforschung an und beleuchten Vulnerabilität, Gender-Aspekte, Intersektionalität und organisationsstrukturelle Dynamiken: Was sind Spezifika katholischer Konstitution von Macht und Ohnmacht? Wie schlagen diese sich in kirchlichem Selbstverständnis, Lehre, Organisation und Binnenkultur sowie in der verfassungsrechtlichen Haltung gegenüber den Kirchen in Deutschland nieder? Und nicht zuletzt: Wie wirken sie sich auf die Dokumentation von Missbrauchsfällen und die Missbrauchsforschung selbst aus?
Inhaltsverzeichnis
Kirchliche Macht und kindliche Ohnmacht. Einleitung
1. An den Kreuzungen der Macht – Mehrfachdiskriminierungen als Gefährdung und als amtskirchlicher Ausweg?
Ein etwas anderer Blick auf Machtmissbrauch
Gunda Werner
2. Legitimität. Ein blinder Fleck in kirchlichen
Rechtfertigungsordnungen?
Georg Essen
3. Legitimation kirchlicher Macht aus staatlicher Perspektive.
Zum Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften
Ute Sacksofsky
4. Pastoralmacht: Anmerkungen zu einem Foucault’schen
Schlüsselbegriff aus bibelwissenschaftlicher Sicht
Martin Nitsche
5. „Die starke Hand des Herrn wirkt mit Macht“ (Ps 118,15-16) Machttheoretische Ambivalenzen im theistischen Gottesbegriff
Knut Wenzel
6. Als Ob. Die fiktiven Momente kirchlicher Macht
und die Ko-Autorschaft der Schafe
Annette Langner-Pitschmann
7. Unsichtbare Fälle, Biases und die Rolle von Primärquellen in der Forschung zu katholischen Machtdynamiken. Beobachtungen
aus der Beschäftigung mit reproduktivem Missbrauch
Doris Reisinger
8. Beichten vor der Erstkommunion?
Kanonistische Anfrage in pastoraler Absicht
Jessica Scheiper
9. Möglichkeiten und Grenzen der Auswertung von Archivgut bei der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt gegen Kinder.
Das Beispiel Berliner Schüler/innen an der Odenwaldschule
(1945–2015)
Johannes Kistenich-Zerfaß
10. Dokumente und Deutungen. Interpretationsprobleme anhand eines Fallbeispiels von sexuellem Kindesmissbrauch
in Kärnten 1939
Christine Hartig / Nicole Priesching
11. Archivakten und Prozessakten im Fall der Schönstätter
Marienschwestern
Alexandra von Teuffenbach
12. „Quod non est in actis, non est in mundo”. Über die Problematik ordnungsgemäßer Dokumentation im Fall von Missbrauch an erwachsenen Frauen
Ute Leimgruber
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