Wie sich Frauen im 17. und 18. Jahrhundert der Ressource „Religiosität“ bedienten und welche Rolle spirituelle Praktiken in ihrem Alltag spielten, gehört zu den bislang kaum beachteten Fragen der kirchenhistorischen Forschung.
Sr. Anna Elisabeth Rifeser versucht in dieser kulturpraxeologischen und dezidiert gendersensibel ausgerichteten Mikrostudie dieses Forschungsdesiderat aufzugreifen und eruiert mithilfe von symboltheoretischen, sozialgeschichtlichen, netzwerktheoretischen und historisch-theologischen Methoden die Frömmigkeitskultur der Tertiarinnen von Brixen und ihrer Gründerin, Maria Hueber (1653–1705), sowie zweier weiterer Gemeinschaften in Bozen und Kaltern. Beleuchtet werden dabei die institutionellen Praktiken, welche die Schwestern zur Schaffung eines neuen Typus von Ordensleben motivierten. Anschließend erfolgt eine gendersensible Analyse der Beziehungsverflechtungen um Hueber, die den bislang kaum beachteten Beitrag von adeligen Frauen („Matroninnen“) beleuchtet. Zuletzt widmet sich dieses Werk der Jesuskind-Verehrung in diesen Gemeinschaften und bietet eine innovative Deutung dieser Frömmigkeitsform auf der Basis Michel de Certeaus, mit der aufgezeigt wird, dass die Statuetten als realpräsente Darstellung Jesu vielfältige Interaktionsmöglichkeiten und nicht zuletzt ein Emanzipationspotenzial boten.
Ersichtlich wird, dass sich das Frömmigkeitssystem zwischen den Polen Verflechtung und Emanzipation bewegte, sämtliche Bereiche des Lebens durchwob und vielfältige kommunikative und spirituelle Ressourcen bereitstellte.
Über den Autor
Sr. Anna Elisabeth (Elisabeth) Rifeser (geb. 1987) studierte von 2007 bis 2011 in Graz Fachtheologie und erhielt für ihre Diplomarbeit über die spätmittelalterliche Brautmystik den Elisabeth-Gössmann-Förderpreis für herausragende Leistungen in der Frauen- und Geschlechterforschung. 2012 trat sie in die Kongregation der Tertiarschwestern des hl. Franziskus ein. Nach dem zweijährigen Noviziat begann sie das Doktoratsstudium an der Kath.-Theol. Fakultät in Innsbruck. 2018 wurde sie mit der vorliegenden Dissertation promoviert. Derzeit vertritt sie den Lehrstuhl für Kirchengeschichte am Fachbereich Katholische Theologie der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Ihre Forschungsinteressen sind die frühneuzeitliche Konfessionskultur, die Jesuskind-Verehrung, Mystik und Ordensleben.