Jeder von uns hatte das Glück, unterrichtet zu werden. Vieles – oder zumindest manches – von dem, was erkennbar ist, wurde von uns auch erlernt. Durch Lehren und Lernen ist unsere Welt konstituiert, so wie sie ist, oder wie sie zumindest für uns ist. Was aber ist das eigentlich: Lehren und Lernen? Können die vielen pädagogischen Einsichten und das Verhältnis von Lehrer zu Schüler, mit dem wir alle in unserem Leben zu tun hatten oder noch haben, auch philosophisch aufgearbeitet werden?
Thomas von Aquin (1225–1274) hat als einziger mittelalterlicher Autor eine 'Quaestio' über den Lehrer geschrieben ('De magistro'). Darin und in weiteren Texten über einen 'ordo addiscendi' – eine Ordnung des Lernens – expliziert er anhand philosophischer Mittel die Tätigkeiten des Lehrens und Lernens, auch auf dem Hintergrund der in seinem Jahrhundert entstehenden Universitäten.
Die vorliegende Arbeit analysiert auf vier unterschiedlichen Ebenen – epistemisch, schöpfungstheologisch, anthropologisch und sozial – das Verständnis des Aquinaten hinsichtlich der Struktur und Genese des Lehrens und Lernens. Diese differenzierte Strukturierung eröffnet einen Einblick in die Wirkweise des menschlichen Geistes und exemplifiziert im Kern die wissenschaftstheoretische und anthropologische Konzeption des Aquinaten. Dabei wird der 'ordo addiscendi' in einer Eigenständigkeit gegenüber der 'divisio philosophiae' als eine ausgezeichnete Weise menschlichen Tätigseins profiliert.