Im Zentrum steht die Entwicklung der katholischen Kleinstadt Billerbeck in Westfalen zur Zeit des Deutschen Kaiserreichs (1870–1914). Als Sterbeort des ersten Bischofs von Münster erlangt der Ort für die Ludgerusverehrung im Kulturkampf für das gesamte Bistum Bedeutung. Neben der Bezugnahme zum Bistumsheiligen prägen Agrarmodernisierung und Naherholung die Ortsentwicklung. Ziel dieser Studie ist es, die Aneignung, Gestaltung und Herstellung des städtischen Raumes zu dekonstruieren und dadurch Akteure, Motive und Strategien der Stadtentwicklung nachzuzeichnen. Mithilfe der Betrachtung verschiedener Öffentlichkeitsebenen gelingt es, den Einfluss der Lokalzeitung auf die „städtische und kirchliche Versammlungsöffentlichkeit“ und umgekehrt aufzuzeigen. Durch die zusätzliche Einbeziehung von Bildpostkarten und katholischen Massenmedien als gezielte Eigenwerbung nach außen („massenmediale Außenkommunikation“) wird sichtbar, auf welch mannigfaltige Weise die Medien bereits um 1900 die Ortsentwicklung in Kleinstädten durch Rezeption und Aneignung prägten. Gleichzeitig sind Rückschlüsse auf Vorgänge in der eigentlich aus historischer Perspektive nur schwer zugänglichen „Encounter-Öffentlichkeit“ (spontane und zufällige Zusammenkünfte) möglich.
Das Forschungsdesign offenbart einen ganz neuen Blick auf die Entscheidungsstrukturen, informellen Aushandlungen und Reflexionsprozesse in einer Kleinstadt um 1900 und führt zu neuen Erkenntnissen über Katholizismus und Kleinstadtentwicklung in der Moderne.
Über den Autor
Constanze Sieger wurde nach dem Studium der Fächer Geschichte, katholische Theologie und Philosophie in Freiburg und Münster an der WWU Münster im Fach Geschichte promoviert. Sie war am Institut für vergleichende Städtegeschichte Münster im Projekt „Stadtgeschichte Billerbeck“ beschäftigt und ist seit 2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Sonderforschungsbereich 1150 „Kulturen des Entscheidens“ im Projekt C05 „Preußische Amtmannbürokratie und lokale Selbstverwaltung“.