Im Juli 2007 rief das Rektorat der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster eine Kommission zur Aufarbeitung ihrer Geschichte unter der Leitung von Prof. Dr. Hans-Ulrich Thamer ins Leben. Der Kommission gehörten Zeithistorikerinnen und Zeithistoriker, aber auch Wissenschaftler anderer Fachrichtungen an. Der vorliegende Band stellt die Ergebnisse ihrer Forschungen vor und ermöglicht erstmals einen umfangreichen und interdisziplinären Blick auf die Geschichte der Universität Münster im 20. Jahrhundert, der über die bislang vorliegenden Einzelstudien weit hinausgeht. Die Beiträge zu Strukturen, Fakultäten und Instituten sowie Personen der Universität zeichnen das Bild einer sich über die Jahrzehnte kontinuierlich ausdifferenzierenden, intensiv mit ihrer westfälischen Umgebung vernetzten Institution. Gleichzeitig wird deutlich, wie eng die Wissenschaft auch in Münster mit dem nationalsozialistischen Regime verknüpft und in seine Verbrechen verstrickt war. Dabei zeigen sich langjährige Kontinuitäten in Forschungsinhalten, Mentalitäten und Personal von der Weimarer Republik über das „Dritte Reich“ bis zur Bundesrepublik. Ebenso wird die Wirkmächtigkeit wissenschaftlicher Netzwerke zur Reintegration belasteter Kollegen nach 1945 deutlich, der gegenüber Ansätze zu einem würdevollen Umgang mit den Opfern der NS-Herrschaft lange Zeit in den Hintergrund traten. Somit stehen die Ergebnisse der Kommissionsarbeit im Einklang mit den Erkenntnissen der modernen Universitätsgeschichtsschreibung, welche nicht nur das Bild eines umfassenden Neuanfangs der deutschen Universitäten nach dem Zweiten Weltkrieg, sondern auch den Mythos einer unpolitischen, „sauberen“ Wissenschaft in der Zeit davor umfassend widerlegen konnte.
Über den Autor
Prof. Dr. Hans-Ulrich Thamer, Jahrgang 1943, hatte bis zu seiner Emeritierung 2011 den Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Münster inne. Thamer ist Senior-Professor im Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität Münster, zudem konzipiert er Ausstellungen für historische Museen.
Dr. Daniel Droste, Jahrgang 1981, Studium der Neueren und Neuesten Geschichte, Politikwissenschaft und Anglistik in Münster und Williamsburg (USA), 2007 bis 2012 Koordinator der Kommission zur Aufarbeitung der Geschichte der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im 20. Jahrhundert.
Dr. Sabine Happ, Jahrgang 1965, Studium der Geschichte und Germanistik in Bonn, nach der Promotion 2001 verschiedene Archivprojekte in Heidelberg, leitet seit 2005 das Universitätsarchiv der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
Pressestimmen
"Die beiden Bände bereichern die Literatur zur Geschichte deutscher Universitäten in schwierigen Jahren auf gute und gelungene Weise". Historische Zeitschrift, Band 299-2014
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort der Rektorin
S. 9–10
Hans-Ulrich Thamer
Zwischen Selbstbehauptung und Selbstgleichschaltung. Universitäten im Nationalsozialismus – eine Einleitung
S. 11–26
Teil 1: Die Universität als Institution
Kristina Sievers
Rektor und Kurator der Universität Münster. Führertum zwischen Anspruch und Wirklichkeit
S. 27–60
Timm C. Richter
„In jeder Weise volles Verständnis für die Belange der Wehrmacht“. Das Verhältnis der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zum Militär
S. 61–82
Johannes Schäfer
Eine wirkliche Landesuniversität schaffen. Die Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität
S. 83–112
Hans-Ulrich Thamer
Die Universität Münster über sich selbst. Feierkultur und Selbstdarstellung im 20. Jahrhundert
S. 113–134
Sabine Happ
Die Aberkennung von Doktorgraden an der Universität Münster in den Jahren 1920 bis 1960
S. 135–162
Christoph Weischer
Studierende an der Universität Münster 1920 bis 1960
S. 163–192
Rainer Pöppinghege
Studentische Repräsentationsorgane 1920 bis 1960
S. 193–224
Peter Respondek
Die Universität Münster nach 1945. Wiedereröffnung und Entnazifizierung im Kontext britischer Besatzungspolitik
S. 225–250
Teil 2: Fakultäten und Institute
Nicola Willenberg
„Der Betroffene war nur Theologe und völlig unpolitisch“. Die Evangelisch-Theologische Fakultät von ihrer Begründung bis in die Nachkriegszeit
S. 251–308
Thomas Flammer
Die Katholisch-Theologische Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität im „Dritten Reich“
S. 309–346
Sebastian Felz
Im Geiste der Wahrheit? Die Münsterschen Rechtswissenschaftler von der Weimarer Republik bis in die frühe Bundesrepublik
S. 347–412
Ursula Ferdinand
Die Medizinische Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster von der Gründung bis 1939
S. 413–530
Ioanna Mamali
Psychiatrische und Nervenklinik Münster 1925 bis 1953
S. 531–568
Markus Drüding
Das Philosophische Seminar in Münster
S. 569–602
Karsten Wallmann / Kristina Sievers
Prähistorie und Nationalsozialismus an der Westfälischen Wilhelms-Universität
S. 603–646
Katja Fausser
„Das Institut zu neuem Leben erweckt“? Entwicklungen am Historischen Seminar 1920 bis 1960
S. 647–688
Volker Honemann
Die Germanistik der Westfälischen Wilhelms-Universität vom Ende des Ersten Weltkrieges bis 1960
S. 689–750
Manfred Günnigmann
Dem Zeitgeist angepasst. Musikwissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität
1922 bis 1962
S. 751–786
Daniel Droste
Das Zoologische Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im 20. Jahrhundert
S. 787–818
Daniel Droste
Das Botanische Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im 20. Jahrhundert
S. 819–846
Achim Weiguny
Die Physik an der Universität Münster im Spannungsfeld des Nationalsozialismus
S. 847–870
Kathrin Baas
Geographie an der Universität Münster 1918 bis 1950. Akademische Karrieren zwischen Wissenschaft, Politik und Verwaltung
S. 871–902
Michael Krüger
Leibesübungen, Sport und Sportwissenschaft an der Universität Münster von den Anfängen bis in die 1960er-Jahre
S. 903–928
Teil 3: Personen
Sabine Happ / Veronika Jüttemann
Ein langer Schatten? Der Einfluss des Nationalsozialismus auf die Situation von Frauen
an der Universität Münster 1920 bis 1960
S. 929–952
Manfred Witt
Karl Wilhelm Jötten und das Hygiene-Institut 1926 bis 1945. Biopolitik im Kontext von Universität, Stadt und Land
S. 953–992
Hans-Peter Kröner
„Die Fakultät hat in politisch schwierigen Situationen Charakter bewiesen“. Der „Lehrstuhl für Erbbiologie und Rassenhygiene“ und die Berufung Otmar Freiherr von Verschuers in Münster
S. 993–1028
Julian Aulke
Zwischen Sozialmedizin und Kriminalbiologie. Heinrich Többen und das Institut für gerichtliche
und soziale Medizin in Münster
S. 1029–1054
Daniel Droste
Der Fall Bruno K. Schultz. NS-Täter, ihre wissenschaftliche Reintegration und die Kontinuität
nationalsozialistischer Netzwerke an der Universität Münster
S. 1055–1082
Sara-Marie Demiriz
Aus den „Ideen von 1914“. Der Staatswissenschaftler Johann Plenge und seine Institute
S. 1083–1112
Nadine Förster
Der Nationalökonom Hans-Jürgen Seraphim zwischen Demokratie und Diktatur (1927 bis 1962)
S. 1113–1154
Anhang
Abkürzungsverzeichnis
S. 1155–1156
Personenregister
S. 1157–1178
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
S. 1179–1186