„Wenn man Italien verstehen will, sollte man den Baedecker weglegen und Theologie studieren“, sagt der italienische Journalist Beppe Severgnini. Tatsächlich ist der italienische Umgang mit Religion oft nicht leicht zu verstehen. Kirchengeschichte und Papstgeschichte allein lösen die Rätsel noch nicht. Don Camillo ist doch eher das Produkt literarischer Phantasie als Abbild der Wirklichkeit. Die Frage nach dem Religiösen in der italienischen Gesellschaft der Moderne, nach der Bedeutung des Christentums katholischer Konfession wird in Italien breit diskutiert. Immerhin war und ist die italienische Bevölkerung in ihrer überwältigenden Mehrheit ja katholisch. Aber was ist damit eigentlich ausgesagt? Was bedeutet es für die politischen Ideen, für die Gesellschaftsentwürfe und für die „nationale Identität“ der Italiener? Die Beiträge dieses Buchs spannen den Bogen von der italienischen Nationalstaatsbewegung im 19. Jahrhundert bis in die Jahre des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg und der großen Säkularisierungsdebatten der frühen Siebziger Jahre. Sie gehen der Frage nach, wie im öffentlichen Diskurs Italiens Religion und Politik, Staat und Kirche, religiöser Glauben und ziviles Bürgerethos zueinander in Beziehung gesetzt wurden. Die Aufsätze gelten den italienischen Wortführern der Debatten ebenso wie den sozialen Organisationen und Strukturen und werden ergänzt durch vier Portraits prominenter Intellektueller und Politiker, die je auf ihre Weise versucht haben, die machtvolle Präsenz des Katholizismus in Italien kulturell zu deuten und religiös und politisch zu handhaben.
Über den Autor
Der Historiker Francesco Traniello hatte bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2008 den Lehrstuhl für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der Universität Turin inne. In Turin gehört er auch der Accademia delle Scienze an. Er ist Gründer und Herausgeber der geschichtswissenschaftlichen Zeitschrift „Contemporanea“.