Die sechs Hymnen des Kallimachos (auf Zeus, Apollon, Artemis, Delos, Bad der Pallas und Demeter) sind in der Überlieferung nur in dieser einen Reihenfolge auf uns gekommen. Ob diese Anordnung nur zufällig sei und die Hymnen genauso gut getrennt voneinander stehen könnten, oder ob es sich dabei um eine von dem Dichter bewußt so entworfene Einheit handle, hinter der ein sorgfältig durchdachter Plan stehe, ist zum Gegenstand einer Kontroverse geworden. In der vorliegenden Arbeit wird für die zweite Lösung plädiert. Dabei erscheint die aus der Forschung übernommene Bezeichnung Hymnensextett besonders geeignet, um das Phänomen der Hymnen als eines poetischen Buches zu umschreiben. So wie in der Musik ein Streich- oder Bläsersextett kein willkürliches Durcheinander einzelner Instrumente, sondern eine Einheit bildet, wird auch hier eine Zusammengehörigkeit der einzelnen Gedichte innerhalb einer Komposition vorausgesetzt.
Nun ist es alles andere als selbstverständlich, daß ein Hymnus zusammen mit anderen Hymnen einer Sammlung eine geschlossene Einheit bilden sollte, d. h. daß das Verständnis des einen Hymnus sich den Rezipienten erst dann voll erschließen kann, wenn sie die übrigen Hymnen hinzuziehen. Die homerischen Hymnen, auf die Kallimachos in seinen Hymnen vor allem zurückgreift, verraten kein durchdachtes Muster der Anordnung. Der Entwurf der kallimacheischen Hymnen als eines poetischen Buches bedarf also einer besonders sorgfältigen Begründung.
Die vorliegende Untersuchung zielt vor allem darauf ab, die Verknüpfungen des Delos-Hymnus mit den übrigen Hymnen des Kallimachos aufzuzeigen und dabei die besondere Stellung dieses Hymnus innerhalb des Sextetts zu begründen. Des weiteren wird hier versucht, die tiefgehenden Beziehungen des Delos-Hymnus zu Pindar und zu den beiden Teilen des homerischen Apollon-Hymnus herauszuarbeiten.