Alcuins Name war fest mit den frühmittelalterlichen Gebetbüchern verbunden. Die Forschung der letzten Jahrzehnte hat dem gelehrten Angelsachsen jedoch das meiste, was ihm traditionell zugeschrieben worden war, wieder abgeschrieben. Lediglich einzelne Gebetstexte gelten noch als sein Werk. Daß sein Beitrag zur Geschichte der Gebetbücher mehr umfaßt, möchte die vorliegende Studie zeigen. Aus der Zusammenschau der Beschreibung des Libellus de ratione orationis in der Vita Alcuini mit frühmittelalterlichen Handschriften versucht sie eine Rekonstruktion von Alcuins Gebetbuch für Karl den Großen.
In einer detaillierten Kommentierung werden Quellen und Herkunft der einzelnen Gebete sowie ihr religiöser Gehalt erläutert. Anhand des täglichen Gebets wird so ein Einblick in die von Sündenbewußtsein und Bußverlangen geprägte Frömmigkeit des Frühmittelalters eröffnet. Anders als etwa die späteren Stundenbücher orientieren sich die frühmittelalterlichen Gebetbücher nicht an dem liturgischen Stundengebet der Mönche und Weltkleriker. Das erschwert das Verständnis ihres Aufbaus und ihrer Benutzung. Hier gelingen der Studie mittels einer bisher nicht beachteten Quelle zum privaten Beten wichtige Einsichten.
Diese Erkenntnisse stützen die Rekonstruktion durch den Nachweis, wie das rekonstruierte Werk dem täglichen Beten gedient hat. Sie erweisen zugleich Alcuins Gebetbuch als ein Schlüsselwerk, das eine neue Sicht auf die karolingerzeitliche Gebetbuchliteratur erlaubt.