Das Kolpingwerk im Bistum Münster ist mit über 40.000 Mitgliedern bis auf den heutigen Tag eine wichtige Institution des kirchlichen und gesellschaftlichen Lebens und für viele Menschen so etwas wie 'Heimat'. Heiner J. Wirtz zeigt in seinem Buch über die Geschichte der Gesellenvereine und Kolpingsfamilien von der Gründung des ersten Vereins in Münster 1852 bis zu den grundlegenden Veränderungen der 1960er Jahre, wie sich die Ideen Kolpings durchsetzten, und wie aus einer Interessensvertretung für Handwerker durch die Umbrüche deutscher Geschichte hindurch ein mitgliedsstarker Familienverband entstand. Wirtz berichtet von schwierigen und herausfordernden Zeiten, beispielsweise vom Kulturkampf der 1870er Jahre, von der Revolution 1918/19, von der nationalsozialistischen Machtübernahme und von den staatlichen und kirchlichen Neuordnungen nach dem Zweiten Weltkrieg. 'Überleben' und 'Neuorientieren' sind dabei die immer wiederkehrenden Stichworte - auch Fehlentwicklungen, verpasste Chancen und Enttäuschungen werden in diesem Zusammenhang nicht verschwiegen. Erstaunlich ist, wer zu Beginn ein Interesse daran hatte, Katholische Gesellenvereine entstehen zu lassen. Überraschend auch die Darlegung, dass sich aus dieser Keimzelle eine weitere Erfolgsgeschichte des Katholischen Milieus, nämlich die Katholische Arbeiterbewegung, entwickeln konnte. Die Perspektive ist meistens die "von unten", das heißt, im Mittelpunkt stehen der örtliche Verein, das alltägliche Vereinsleben und die Auswirkungen großer Umbrüche auf diese kleine Welt. Wie sich Frömmigkeit und Pragmatismus dort mischten, ist spannend und unterhaltsam zu lesen und wird gekennzeichnet durch den Spruch des Billerbecker Vereinschronisten Ende der 20er Jahre, alle Vereinsarbeit geschehe stets "Gott zur Ehre und den Gesellen zum Vorteil".