Zu Beginn des 21. Jahrhunderts scheint die Demokratie in eine Krise geraten zu sein. In den etablierten liberalen Demokratien des globalen Westens zeigt sich dies vor allem in der steigenden Anzahl derjenigen, die sich nicht mehr an Wahlen und traditionellen Partizipationsprozessen repräsentativer Demokratien beteiligen. Gleichzeitig sind Forderungen nach mehr Transparenz und Beteiligungsmöglichkeiten in so unterschiedlichen Kontexten wie etwa den Protesten gegen städtebauliche Großprojekte, der weltweiten Occupy-Bewegung, in national-populistisch ausgerichteten Bewegungen in ganz Europa oder im Zusammenhang mit sich ausweitenden digitalen Möglichkeiten unüberhörbar.
Der Befreiungsphilosoph Enrique Dussel hat mit seiner Aussage „Alles Politische beginnt (und endet) mit der Partizipation“ auf den zentralen Stellenwert der Partizipation für die Demokratie hingewiesen. Nimmt man dies ernst, so zwingen die gegenwärtigen Entwicklungen zu einer erneuten Auseinandersetzung um die Zukunft von Demokratien sowie um die Möglichkeiten und Bedingungen von Partizipation in der Demokratie.
Die Beiträge des vorliegenden Tagungsbandes nehmen sich dieser Herausforderung aus der Perspektive einer Christlichen Sozialethik an. Die Fülle der unterschiedlichen Herangehensweisen und Schwerpunktsetzungen macht dabei deutlich, dass es sich dabei im Rahmen einer anwendungsbezogenen politischen Ethik um ein komplexes Gefüge unterschiedlichster Herausforderungen handelt, für die keine einfachen und eindeutigen Lösungen postuliert werden können.
Die Vielfalt der im vorliegenden Band versammelten Ansätze zeigt freilich auch, wie im wissenschaftlichen Diskurs um die Beantwortung drängender Fragen der Gegenwart gerungen wird. Das Forum Sozialethik gewährleistet seit nunmehr 25 Jahren einen solchen Rahmen insbesondere für Nachwuchswissenschaftler_Innen der Christlichen Sozialethik und benachbarter Disziplinen. Aus Anlass dieses Jubiläums wurden in den Tagungsband auch zwei Beiträge aufgenommen, die Gründung und geschichtliche Entwicklung des Forums reflektieren und als gelungenes Partizipationsprojekt im Rahmen der Wissenschaftscommunity ausweisen.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
S. 11–16
Sebastian Fink / Luisa Fischer
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Sozialethische Perspektiven auf das Verhältnis von Demokratie und Partizipation
S. 17–44
Anspruch und Wirklichkeit von repräsentativer Demokratie
Ana Honnacker
Liberale Demokratie unter post-säkularen Vorzeichen
S. 45–62
Simon Faets
Kritik der relationalen Vernunft. Beziehungen der Gleichheit im Spannungsfeld von Nationalstaatlichkeit und sozialer Praxis
S. 63–83
Axel Bernd Kunze
Haben sich die Parteien überlebt? Überlegungen zur politik- und kulturethischen Verantwortung politischer Parteien
S. 84–106
Partizipation als Herausforderung (für die repräsentative Demokratie)
Jochen Ostheimer
Wer gehört dazu? – Das Wechselverhältnis von sozialtheoretischer Inklusion und entscheidungstheoretischer Partizipation in der Gerechtigkeitstheorie von Rawls
S. 107–122
Andreas Fisch
Ein Wahlrecht nur für viele? Argumente gegen den Ausschluss von Minderjährigen sowie von bestimmten Behinderten, Kranken und Strafgefangenen
S. 123–146
Cornelius Sturm
Verantwortungsbewusste Partizipation? Kritik einer scheinbaren Selbstverständlichkeit
S. 147–166
Künftige Demokratie und neue Formen der Partizipation
Dominik Ritter
Demokratie und Partizipation weiterentwickeln!
S. 167–190
Myriam Ueberbach
Revolution 2.0. Die Rolle der sozialen Netzwerke im Arabischen Frühling
S. 191–206
Stefanie A. Wahl
Neue Protestkulturen und Enrique Dussels Vision einer künftigen Demokratie
S. 207–224
Christian Henkel
Digitale Partizipation und liquide Demokratie. Wie kann Deliberation und Entscheidungsfindung im Internet gelingen?
S. 225–238
25 Jahre Forum Sozialethik
Hans-Joachim Höhn
Partizipation und Diskurs – oder: Wie es zur Gründung des „Forum Sozialethik“ kam
S. 239–246
Sebastian Zink / Werner Veith
Das Forum Sozialethik 1998–2015 – Konsolidierung, Institutionalisierung und Beteiligung
S. 247–254
Autorinnen und Autoren
S. 255–257