Der 60. Band des Jahrbuchs für Christliche Sozialwissenschaften greift die in jüngster Zeit lebhaft geführte Auseinandersetzung um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf und fragt nach dem Zusammenspiel von gelingender Demokratie und einem starken, unabhängigen öffentlichen Rundfunk.
Populistische Diffamierungen („Lügenpresse”), Framing-Debatten, politische Instrumentalisierungen und Zensurierungen bis hin zu Übernahmeversuchen öffentlich-rechtlicher Medienanstalten – in vielen Ländern Europas sind „die Öffentlich-Rechtlichen” unter massiven Druck geraten. Dem gegenüber steht ein großes gesellschaftliches Bedürfnis nach „Unabhängigkeit” und (weltanschaulicher) „Neutralität” der medialen Vermittlung und Aufbereitung von Informationen. Medientechnologische Veränderungen aufgrund der Digitalisierung der Medienlandschaft gehen mit einem tiefgreifenden gesellschaftlichen, ethisch hoch bedeutsamen Wandel.
In diesem Kontext beleuchtet der aktuelle Band des JCSW unter rechtlichen/rechtsethischen, medien- und sozialethischen sowie politik- und kommunikationswissenschaftlichen Aspekten grundlegende Optionen einer politischen Ethik der Mediengesellschaft und der (Medien-)Demokratie. Die Diskussion um liberale, deliberative oder antagonistische Paradigmen, den normativen Gehalt von Gemeinwohl- und Öffentlichkeitsbegriff sowie die Rolle und Zusammensetzung der Rundfunkräte macht das Ringen um eine reflexive Erfassung der gegenwärtigen sozialen Dynamiken sichtbar.
Zwei thematisch freie Forschungsbeiträge aus der Sozialethik ergänzen das Heft: Der Innsbrucker Theologe Roman A. Siebenrock skizziert Aspekte der Aneignung von Karl Gabriels religionssoziologischer Analysen zur „multiplen Moderne” in der systematischen Theologie. Zum 60. Jubiläum des Jahrbuchs für Christliche Sozialwissenschaften legen Marianne Heimbach-Steins, Josef Becker und Sebastian Panreck eine Studie zu Entwicklungen, Umbrüchen und Aufgaben der Christlichen Sozialethik im Spiegel dieses für das Fach bedeutsamen Mediums vor.
Berichte zur Lage der Sozialethik in Schweden und Tschechien sowie zu sozialethischen Fachtagungen des Jahres 2018/2019 und die Mitteilungen zu laufenden und kürzlich abgeschlossenen Qualifikationsarbeiten geben Einblicke in aktuelle sozialethische Entwicklungen und Forschungsprozesse.
Über den Autor
Marianne Heimbach-Steins, Dr. theol., ist Professorin und Direktorin des Instituts für Christliche Sozialwissenschaften an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
S. 9–16
Markus Vogt
Nachruf zum Tod von Wilhelm Korff
S. 17–26
I. Öffentlich-rechtliche Medien
a) Ouvertüre
Klemens Kindermann
Zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland
S. 27–36
Vinzenz Wyss / Mirco Saner
Die Debatte um den öffentlichen Rundfunk in der Schweiz: Mit „No Billag” gegen das gesellschaftliche Solidaritätsprinzip
S. 37–52
Michal Kuş
Public service broadcasting and media polarization in Poland
S. 53–62
b) Forschungsbeiträge
Otfried Jarren
Öffentliche Medien als neue Intermediäre der Gesellschaft. Von der Notwendigkeit der Neuinstitutionalisierung öffentlicher Medien
S. 63–86
Alexander Filipoviç
Öffentlichkeitsbegriff und Gemeinwohlrelevanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Eine sozial- und medienethische Perspektive
S. 87–112
Corinne Schweizer
Antagonismus oder rationaler Diskurs? Medienpluralität in Europa und die Rolle des öffentlichen Rundfunks
S. 113–140
Tobias Eberwein / Florian Saurwein / Matthias Karmasin
Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Europa: ein kennzahlenbasierter Vergleich zum Verhältnis von Finanzierung und Publikumsleistungen
S. 141–168
Siegfried Krückeberg
Die Rolle der Kirchen in den Rundfunkräten
S. 169–194
Beatrice Dernbach
Die Debatte um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist eine mediale Inszenierung. Eine Analyse der Kritik der Zeitungsverleger an den Strategien von ARD und ZDF
S. 195–216
c) Literaturüberblick
Elmar Kos
Der Beitrag der Medienethik zur Diskussion über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ein Literaturbericht
S. 217–256
II. Forschungsbeiträge zur Sozialethik
Roman A. Siebenrock
„Multiple Moderne” als Ort und Auftrag zur Neuentdeckung des Evangeliums. Karl Gabriels Inspirationen für eine „Theologie in den Zeichen der Zeit”
S. 257–274
Marianne Heimbach-Steins / Josef Becker / Sebastian Panreck
Sechzig Jahre Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften – Entwicklungen, Umbrüche, Aufgaben des Fachs
S. 275–318
III. Christlich-sozialethisches Denken und Arbeiten in Europa / Thinking and Doing Christian Social Ethics in Europe
Carl-Henric Grenholm
Christian Social Ethics in Sweden. A Contribution to the Critical Examination of Morality in Church and Society
S. 319–336
Petr Štica
Doing Christian Social Ethics in the Czech Republic
S. 337–350
IV. Berichte und Mitteilungen
a) Tagungsberichte
Lars Schäfers
„... neue Leitbilder für den Fortschritt” (LS 194): Wirtschaftsethische Herausforderungen im Horizont Christlicher Sozialethik. Bericht über das 28. Forum Sozialethik in der Katholischen Akademie Schwerte
S. 351–356
Andreas Fisch
Globales Gemeinwohl. Bericht zum 20. Berliner Werkstattgespräch der Sozialethiker*innen 2019
S. 357–366
Hermann-Josef Große Kracht / Jonas Hagedorn
Was kennzeichnet gute Wohlfahrtsstaatlichkeit? Normative Traditionen des Wohlfahrtsstaatsdenkens in Deutschland. Bericht zu den 9. Heppenheimer Tagen zur christlichen Gesellschaftsethik
S. 367–374
Galia Assadi
Digitale Menschheit. Ethische Analysen und Antworten in einer Zeit der Transformation. Bericht über die 56. Jahrestagung der Societas Ethica 2019 in Tutzing
S. 375–382
Ivo Frankenreiter
Grundlagenreflexionen zu einer theologisch übergreifenden Fundierung des Ethischen. Bericht zum Workshop am 9. und 10. Mai 2019 an der Ludwig-Maximilians-Universität München
S. 383–388
b) Mitteilungen
Qualifikationsarbeiten in der deutschsprachigen katholischen Sozialethik
S. 389–400
Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes
S. 401–403