Die Frage nach der Determination des Menschen – und damit nach der Freiheit seines Willens – gehört zu den alten Fragen der Menschheitsgeschichte. Im Kontext der Christentumsgeschichte fand sie vor allem in der Kontroverse des Augustinus von Hippo mit Pelagius zu Beginn des 5. Jahrhunderts ihren Austrag – und ihre grundsätzliche theologisch-kirchliche Klärung. Doch gab das Problem von göttlicher Gnade und menschlicher Freiheit auch später immer wieder Anlass zu heftigen theologischen Debatten. Nicht zuletzt die durch die Reformation fokussierte Frage nach der „Rechtfertigung“ des Menschen wirkte als Katalysator. Zwischen den sich herausbildenden Konfessionen entbrannte im Gefolge dieser Debatten auch ein Kampf um das „Erbe“ Augustins. Die gnadentheologischen Probleme führten zu heftigen innerkatholischen Kontroversen, die schließlich Mitte des 17. Jahrhunderts im Konflikt um den Augustinus des Cornelius Jansenius (1585-1638) kulminierten. Das Werk, das den Anspruch authentischer Interpretation des Kirchenvaters erhob, gelangte unmittelbar nach seinem Erscheinen auf den römischen Index der verbotenen Bücher. 1653 wurden durch die päpstliche Bulle Cum occasione zudem fünf (angeblich) dem Augustinus entnommene Propositionen als häretisch verdammt. Die Brisanz dieses Aktes war offenkundig: Hatte das Lehramt damit die gnadentheologische Position des Kirchenvaters Augustinus selbst verurteilt?
Der Band trägt dem komplexen, vielschichtigen Gesamtphänomen „Jansenismus“ Rechnung, rückt dabei aber dezidiert die theologische Ausgangsfrage sowie die Bedeutung Augustins in den Blick – eine forschungsgeschichtlich weitgehend vernachlässigte Seite des „Jansenismus“.
Über den Autor
Dominik Burkard, Dr. theol., ist Ordinarius für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.
Tanja Thanner, Dr. phil., ist Studienrätin an der St. Ursula-Schule in Würzburg und habilitiert im Fach Mittlere und Neuere Kirchengeschichte.
Inhaltsverzeichnis
Dominik Burkard / Tanja Thanner
Vorwort
S. V–VI
Cornelius Petrus Mayer OSA
Augustinus – Doctor gratiae. Das Werden der augustinischen Freiheits- und Gnadenlehre von den Frühschriften bis zur Abfassung der Confessiones
S. 1–12
Otto Hermann Pesch
„Da war es aus mit ihm“. Wirklich? Luther und Augustinus – ein kritisch-konstruktives Verhältnis
S. 13–36
Karin Scheiber
„Augustinus totus noster“ – Calvins Augustin
S. 37–56
Karlheinz Ruhstorfer
Der Gnadenstreit „de auxiliis“ im Kontext
S. 57–70
Giovanna D'Aniello
Francisco Suárez (1548–1617) über die Wirksamkeit der Gnade: Einige Überlegungen im Anschluss an Augustinus
S. 71–98
Diana Stanciu
Haereticorum patriarchae philosophi: Jansenius' Concepts of Habit and Habitual Grace and His Criticism of Aristotle and the ‘Aristotelian Pelgians’
S. 99–116
Wim François
Efficacious Grace and Predestination in the Bible Commentaries of Estius, Jansenius and Fromondus
S. 117–144
Michael Klaus Wernicke OSA
Die Augustiner-Eremiten. Christian Lupus und Enrico Noris im Jansenistenstreit
S. 145–162
Sylvio Hermann De Franceschi
Le Thomisme Moderne au Voisinage compromettant de l'Hérésie. L'École de saint Thomas entre calvinisme et jansénisme: parcours d'une inquiétude au XVIIᵉ siècle
S. 163–192
Marcel Albert OSB
Jansenismus als diplomatisches Problem. Fabio Chigi und die Bekämpfung des Jansenismus in der Kölner Nuntiatur 1640–1651
S. 193–240
Dominik Burkard
Zur Vorgeschichte der „fünf Propositionen“ aus dem Augustinus von Cornelius Jansenius (1649–1652). Das unbekannte Memorandum der Pariser Augustinisten für Innozenz X.
S. 241–280
Tanja Thanner
Zur Entstehungsgeschichte der Bulle Cum occasione (1653). Die Zensurierung der fünf Lehrsätze durch Mitglieder des Augustinerordens
S. 281–310
Els Agten
The Impetus of the Jansenist Milieus in France and the Low Countries to Bible Reading in the Vernacular (1660–1735)
S. 311–348
Nicole Reinhardt
Das königliche Gewissen im Prisma jansenistischer Kritik
S. 349–372
Catherine Maire
Die Bulle Unigenitus: Ein Staats- und Kirchengesetz
S. 373–388
Jan Roegiers
Komplotte, Allianzen, Parteien. Jansenismus und Antijansenismus als politische Realitäten
S. 389–406
Herman H. Schwedt
Opfer der Antijansenisten: der Kölner Inquisitor Sebastian Knippenberg OP (✝ 1733)
S. 407–442
Volker Reinhardt
Der Jansenismus und das barocke Papsttum – Thesen zu einer Abstoßung
S. 443–449
Siglen- und Abkürzungsverzeichnis
S. 450–454
Personenregister
S. 455–462
Autorenverzeichnis
S. 463–464