Nach ihrer Marginalisierung durch den Historismus erfuhren die Begriffe der ‚Klassik’ und des ‚Klassischen’ in den zurückliegenden Jahrzehnten zunehmendes Interesse. Dabei geht es dem vorliegenden Band nicht um die Wiederbelebung vergangener Klassiken. Gezeigt werden soll vielmehr, dass trotz aller historischen Bedingtheit kulturelle Entwicklungen nicht ohne verbindliche Normensysteme auskommen, ja sich als Suche nach der optimalen Norm begreifen lassen. Diese Suche kann zur Überwindung eines bisherigen, aber auch zur inneren Differenzierung eines vorhandenen Normensystems führen. Ist das funktionale Leistungsvermögen eines etablierten Systems, d.h. die Regelungskompetenz für gegebenen Lösungsbedarf hoch, kann eine Phase normativer Stabilität eintreten. Solche Phasen hoher innerer Geschlossenheit und Funktionalität werden aus der Retrospektive als Klassiken wahrgenommen und können Anlass zur umformenden Wiederverwendung ihrer Normensysteme bieten. So entstehen aus der Rückwendung zu Klassiken Klassizismen. Im vorliegenden Band versuchen anlässlich einer Tagung der Graduiertenschule ‚Europäische Klassiken‘ der Universität Münster Vertreter 15 geisteswissenschaftlicher Fächer, der Fragestellung von Klassik als Norm im Rahmen spezifischer fachlicher und historischer Kontexte nachzugehen.
Über den Autor
Leuker, Tobias, Prof. Dr.
Geboren 1968 in Bamberg, ist er seit 2008 Professor für Romanische Literaturwis¬senschaft an der Universität Münster. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der romanischen Mediävistik (Dante, Libro de Buen Amor, Troubadourdichtung, Anfänge des französischen Theaters) und Renaissance (Poliziano, Lyrik des Siglo de Oro) und schließen auch neulateinische Themen (zuletzt Forschungen zu portugiesischen Humanisten in Italien) und kunstgeschichtliche Sujets ein. 2012 wurde er mit dem Premio Torquato Tasso ausgezeichnet.
Pietsch, Christian, Prof. Dr.
Geboren 1960, studierte er von 1980-1986 Klassische Philologie und Philosophie an den Universitäten Mainz und Tübingen. 1992 wurde er mit der Dissertationsschrift Prinzipienfindung bei Aristoteles. Methoden und erkenntnistheoretische Grundlagen (erschienen 1992) promoviert, 1996 mit der Arbeit Die Argonautika des Apollonios von Rhodos. Untersuchungen zum Problem der einheitlichen Konzeption des Inhalts (erschienen 1999) habilitiert. Er ist seit 2003 Ordentlicher Professor für Klassische Philologie/Gräzistik an der Universität Münster. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich der antiken Philosophie, aber auch der griechischen, vor allem der hellenistischen Literatur. Er betreut seit dem Tod des renommierten Münsteraner Platonismus-Forschers Matthias Baltes (2003) das Forschungsprojekt Der Platonismus in der Antike, ist in den letzten Jahren jedoch zunehmend auch in interdisziplinäre Forschungen eingebunden, was u. a. in der 2010 unter seiner Leitung erfolgten Gründung der Graduate School ‚European Classics’ an der Universität Münster zum Ausdruck kommt, deren Sprecher er seitdem ist.