Ziel des Themenschwerpunktes 2016 ist es, neue Einsichten in regionale und lokale Charakteristika der Reformation in Westfalen und Lippe zu vermitteln. Welchen „Stellenwert” besaß Westfalen innerhalb des Reformationsprozesses? Weist Westfalen als trikonfessionelle Region Besonderheiten auf, die z.B. in Südwest- oder Norddeutschland nicht anzutreffen sind? Wie ist die Zuordnung von „Fürstenreformation”, „Stadt-, Bürger- bzw. Gemeindereformation” und dem Bedürfnis nach Erneuerung in der Bevölkerung zu gewichten?
In der Reformationshistoriographie wurde häufig der Eindruck vermittelt, Westfalen sei überwiegend ein „Nebenland” der Reformation gewesen. Dabei gab es auch in Westfalen zahlreiche selbständige Versuche, die alte kirchlich-politische Ordnung aufzubrechen und einer partikular organisierten, mehrkonfessionellen Gesellschaft Entwicklungschancen zu eröffnen. Westfalen mit seinen vier Diözesen, einigen kleineren geistlichen Herrschaften und Klöstern, Teilgebieten Jülich-Kleve-Bergs, kleinen Reichsgrafschaften und teilweise autonom agierenden Städten bot von seinen Voraussetzungen her den Nährboden für ein breites reformatorisches Konfliktfeld. Eine der heftigsten politischen Konfrontationen im Kontext der Reformation fand z.B. in Münster statt, das zum Sammlungsort einer Täuferbewegung wurde, die das bestehende kirchliche System radikal ablehnte. Überhaupt bot die Stadtreformation in Westfalen zahlreiche Varianten der Tolerierung und Eigenständigkeit, zum Teil auch mehrfache Wechsel der Konfession. Allein das rechtfertigt eine Betrachtung der Reformation(en) in Westfalen aus regionaler Perspektive, auch wenn deren Durchsetzung letztlich immer eine Frage der territorialen politischen Verhältnisse blieb. Am Beispiel der Grafschaft Mark, der Städte Dortmund, Bielefeld und Münster sowie der besonderen Situation in Lippe wird gezeigt, dass sich der Protestantismus in Westfalen erst in einem langen Übergangszeitraum und in spezifischen Mischformen aus den katholischen Gemeinden heraus bilden konnte und vor dem 17. Jahrhundert nicht in der Lage war, sich übergemeindlich zu organisieren.
Weitere Beiträge behandeln die biographischen Hintergründe (katholischer) Historiographie im 19. und 20. Jahrhundert, die Sozial- und Gesundheitspolitik der Landschaftsverbände nach 1945 im überregionalen Vergleich (u.a. am Beispiel der Drogenhilfe), die Nutzung von Markwald als Bestandteil der vorindustriellen Landwirtschaft, die Armenhausstiftungen des münsterländischen Adels in der Neuzeit sowie die Handlungsspielräume von Lehrerinnen und Lehrern an einem Gymnasium in Münster zwischen 1933 und 1945. Tagungs- und Jahresberichte, eine Zeitschriftenschau und ein umfangreicher Rezensionsteil beschließen die Westfälischen Forschungen 2016.
Inhaltsverzeichnis
Reformation in Westfalen und Lippe
Thomas Küster
Westfalen als „Nebenland” der Reformation?
S. 1–16
Alwin Hanschmidt
Phasen der Reformation und Rekatholisierung in Westfalen und das Beispiel Wiedenbrück
S. 17–38
Willem de Bakker / Michael Driedger / James M. Stayer
Städtische Reformation und Täuferbewegung in Münster. Rezeption, Historiographie und Erinnerung in vergleichender Perspektive
S. 39–72
Michael Basse
Ritual und Bekenntnis – Die Bedeutung der Abendmahlspraxis in der Reformationsgeschichte
Dortmunds
S. 73–92
Christian Helbich
Das Bielefelder Kirchen- und Schulwesen in der Reformationszeit
S. 93–108
Bartolt Haase
Das Ringen um die Reformation. Lutheraner und Reformierte in Lippe
S. 109–122
Uwe Gryczan
Melanchthon in der Grafschaft Mark: Hermann Wilken und die Neuenrader Kirchenordnung von 1564
S. 123–148
Heye Bookmeyer / Werner Freitag / Christof Spannhoff
Die Reformation in Westfalen – Möglichkeiten und Perspektiven eines historischen Informationsportals
S. 149–160
Westfälische Historiker zwischen Historismus und Heimatbewegung
Bernd Mütter
Wissenschaftsautonomie versus Heilsgeschichte. „Katholischer Historismus” in der Epoche von
Reichsgründung und Kaiserreich – das Beispiel der münsterischen Hochschule 1848–1918
S. 161–216
Karl Ditt
Volkstum und Heimat. Wilhelm Schulte in der westfälischen Heimatbewegung und Landesgeschichte
S. 217–320
Überörtliche Sozial- und Gesundheitspolitik
Thomas Küster
Die Höheren Kommunalverbände und ihr Einfluss auf die Sozialpolitik nach 1945
S. 321–338
Ryohei Tsukamoto
Entwicklung und Krise des psychiatrischen Hilfesystems für Drogenabhängige in Westfalen von den 1960er Jahren bis in die 1970er Jahre
S. 339–356
Weitere Beiträge
Gerhard E. Sollbach
Der Markwald in der vorindustriellen Gesellschaft – Nutzung und Privatisierung der Garenfelder
Mark im 16. bis 18. Jahrhundert
S. 357–380
Bernd Weber
Handlungsspielräume von Lehrerinnen und Lehrern (1933–1945)? Das Annette-von-Droste Hülshoff-Gymnasium in Münster als Beispiel
S. 381–402
Gaby Flemnitz
Neue Befunde zu Kriegsgefangenschaft und Zwangsarbeit im Kreis Warendorf 1939–1945
S. 403–414
Karl-Zuhorn-Preis
Kirsten Bernhardt
Armenhäuser. Die Stiftungen des münsterländischen Adels (16.–20. Jahrhundert)
S. 415–432
Tagungsberichte
Agnes Weichselgärtner
„Rheinland und Westfalen im Freistaat Preußen in der Weimarer Republik” (Pulheim-Brauweiler, 3./4. März 2016)
S. 433–438
Sebastian Werner Frolik / Christian Pöpken / Anna-Lena Többen
„Erinnerung, Ehrung, Politik. Zum Umgang mit Ehrungen und Erinnerungen nach 1945” (Münster, 21./22. April 2016)
S. 439–448
Jahresberichte 2015
Kathrin Nolte
LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte
S. 449–458
Burkhard Beyer / Katharina Stütz
Historische Kommission für Westfalen
S. 459–465
Vera Brieske
Altertumskommission für Westfalen
S. 466–471
Christiane Cantauw
Volkskundliche Kommission für Westfalen
S. 472–478
Rudolf Grothues
Geographische Kommission für Westfalen
S. 479–485
Markus Denkler
Kommission für Mundart- und Namenforschung Westfalens
S. 486–489
Walter Gödden
LWL-Literaturkommission für Westfalen
S. 490–494
Zeitschriftenschau
Klaus Schultze
Ausgewählte Beiträge zur geschichtlichen Landeskunde Westfalens in Periodika des Jahres 2015
S. 495–530
Buchbesprechungen
Politische Geschichte, Verwaltungs- und Rechtsgeschichte
Julian Aulke
Räume der Revolution. Kulturelle Verräumlichung in Politisierungsprozessen während der Revolution 1918–1920
Besprochen von Wilfried Reininghaus
S. 531–533
Lars Behrisch
Die Berechnung der Glückseligkeit. Statistik und Politik in Deutschland und Frankreich im späten Ancien Regime
Besprochen von Wilfried Reininghaus
S. 533–536
Linda Brüggemann
Herrschaft und Tod in der Frühen Neuzeit. Das Sterbe- und Begräbniszeremoniell preußischer
Herrscher vom Großen Kurfürsten bis zu Friedrich Wilhelm II. (1688–1797)
Besprochen von Peter Burg
S. 537–539
Maria-Elisabeth Brunert
Die Beratungen des Fürstenrates in Osnabrück, Bd. 3/7: Juli – September 1648 (Acta Pacis
Westphalicae. Serie III A, Bd. 3/7)
Besprochen von Gabriele Greindl
S. 540–541
Stefanie Fraedrich-Nowag
Die Kaiserlichen Korrespondenzen, Bd: 9: Mai – August 1648 Acta Pacis Westphalicae. Serie II A, Bd. 9)
Dorothée Goetze
Die Kaiserlichen Korrespondenzen, Bd. 10: 1648–1649 Acta Pacis Westphalicae. Serie II A,
Bd. 10)
Zusammen besprochen von Gabriele Greindl
S. 542–544
Kirsten John-Stucke / Daniela Siepe (Hrsg.)
Mythos Wewelsburg. Fakten und Legenden
Besprochen von Philipp Sölken
S. 544–546
Siegfried Schmieder
Die Ratsprotokolle und Kämmereirechnungen der Stadt Warendorf 1766–1790. Aus dem Nachlass herausgegeben
Besprochen von Wilfried Reininghaus
S. 547–549
Bärbel Sunderbrink
Revolutionäre Neuordnung auf Zeit. Gelebte Verfassung im Königreich Westfalen: Das Beispiel
Minden-Ravensberg 1807–1813
Besprochen von Horst Conrad
S. 549–551
Wirtschafts- und Sozialgeschichte
Peter Döring
Ruhrbergbau und Elektrizitätswirtschaft. Die Auseinandersetzung zwischen dem Ruhrbergbau
und der öffentlichen Elektrizitätswirtschaft um die Steinkohlenverstromung von 1925 bis 1951
Besprochen von Karl Ditt
S. 551–554
Karl-Peter Ellerbrock / Nancy Bodden / Margrit Schulte Beerbühl (Hrsg.)
Kultur, Strategien und Netzwerke. Familienunternehmen in Westfalen im 19. und 20. Jahrhundert
Besprochen von Matthias Frese
S. 554–557
Rüdiger Hachtmann
Das Wirtschaftsimperium der Deutschen Arbeitsfront 1933–1945
Besprochen von Matthias Frese
S. 557–559
Angela Huang
Die Textilien des Hanseraums. Produktion und Distribution einer spätmittelalterlichen Fernhandelsware
Besprochen von Wilfried Reininghaus
S. 559–560
Mark Spoerer
C&A. Ein Familienunternehmen in Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien 1911–1961
Besprochen von Wilfried Reininghaus
S. 560–562
Wolfhard Weber (Hrsg.)
Geschichte des deutschen Bergbaus, Bd. 2: Salze, Erze und Kohlen. Der Aufbruch in die Moderne im 18. und frühen 19. Jahrhundert
Besprochen von Horst Conrad
S. 562–566
Kunst, Kultur und Wissenschaft
Theodor Ahrens / Stanislaus Kandula / Roman Mensing
Romanik und Gotik im Erzbistum Paderborn
Besprochen von Johannes Sander
S. 566–568
Kathrin Baas
„Erdkunde als politische Angelegenheit”. Geographische Forschung und Lehre an der Universität Münster zwischen Wissenschaft und Politik (1909–1958)
Besprochen von Karl Ditt
S. 568–571
Marion Baschin
Ärztliche Praxis im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Der Homöopath Dr. Friedrich Paul von Bönninghausen (1828–1910)
Besprochen von Philipp Sölken
S. 571–574
Thomas Küster (Hrsg.)
Medien des begrenzten Raumes. Landes- und regionalgeschichtliche Zeitschriften im 19. und
20. Jahrhundert
Besprochen von Matthias Krämer
S. 574–577
Leopold Schütte
Wörter und Sachen aus Westfalen 800 bis 1800
Besprochen von Philipp Sölken
S. 577–580
Stadt- und Ortsgeschichte
Georg Galle
Bürgerschaft unter dem Kaiseradler. Verfassung und Verfassungskonflikte in der Reichsstadt
Dortmund 1648–1802
Besprochen von Nicolas Rügge
S. 580–582
Ulrike Kändler
Entdeckung des Urbanen. Die Sozialforschungsstelle und die soziologische Stadtforschung in Deutschland, 1930 bis 1960
Besprochen von Wilfried Reininghaus
S. 582–584
Birgit Meineke
Flurnamen der Gemeinde Schlangen. Mit Fotografien von Annette Fischer
Besprochen von Christof Spannhoff
S. 584–589
Mechtild Schöneberg / Thomas Ridder / Norbert Fasse (Hrsg.)
Die jüdischen Gemeinden in Borken und Gemen. Geschichte, Selbstorganisation, Zeugnisse der
Verfolgung
Besprochen von Bernd Weber
S. 589–592
Josef Sickmann
Grundkataster und Flurnamenbuch Westbevern mit den Ortsteilen Dorf, Vadrup und Brock sowie Teilungsrezess der Westbeverner Mark 1841
Besprochen von Marcus Weidner
S. 592–593
Christof Spannhoff
Leben ohne die Toten. Konfliktaustrag und Kompromissfindung im Kontext der Begräbnisplatzverlegungen im Kreis Tecklenburg (1780–1890)
Besprochen von Horst Conrad
S. 593–595
Christian Steinhagen
Münster im Dritten Reich. Ein Stadtführer
Besprochen von Marcus Weidner
S. 595–598
Einzelne Regionen
Stefan Gorißen / Horst Sassin / Kurt Wesoly (Hrsg.)
Geschichte des Bergischen Landes, Bd. 1: Bis zum Ende des alten Herzogtums 1806
Besprochen von Peter Burg
S. 598–602
Jörg Michael Henneberg / Horst-Günter Lucke (Hrsg.)
Geschichte des Oldenburger Landes. Herzogtum, Großherzogtum, Freistaat
Besprochen von Martin Dröge
S. 602–604
Achim Prossek u.a. (Hrsg.)
Atlas der Metropole Ruhr. Vielfalt und Wandel des Ruhrgebiets im Kartenbild
Besprochen von Karl Ditt
S. 604–606
Biographien und Tagebücher
Hans-Joachim Behr
Die Tagebücher des Ludwig Freiherrn Vincke 1789–1844, Bd. 8: 1819–1824
Hans-Joachim Behr
Die Tagebücher des Ludwig Freiherrn Vincke 1789–1844, Bd. 9: 1825–1829
Zusammen besprochen von Peter Burg
S. 606–608
Martin Dröge
Männlichkeit und ,Volksgemeinschaft’. Der westfälische Landeshauptmann Karl Friedrich
Kolbow (1899–1945): Biographie eines NS-Täters
Besprochen von Jürgen Reulecke
S. 609–611
Bruno Fritsch
Engelbert Niebecker (1895–1955), Fliegerleutnant, katholischer Geistlicher und Gymnasialdirektor in Borken
Besprochen von Bernd Weber
S. 612–615
Herbert Hömig
Altenstein. Der erste preußische Kultusminister. Eine Biographie
Besprochen von Peter Burg
S. 615–619
Olga Weckenbrock
Adel auf dem Prüfstand. Strategien der Selbstbehauptung bei Ernst (1738–1813) und Ludwig (1774–1844) Freiherrn von Vincke
Besprochen von Marvin Loga-Derksen
S. 619–622
Autorinnen und Autoren
S. 623–624