Hildegard von Bingen (1098-1179), Äbtissin zweier Klöster am Mittelrhein, gehört zu den berühmtesten geistlichen Persönlichkeiten des lateinischen Mittelalters. Ihr Gesamtwerk, das durch seinen Umfang und die Vielfalt der literarischen Formen beeindruckt, ist durch die benediktinische Denkweise geprägt und spiegelt zugleich die geistigen Entwicklungen des 12. Jahrhunderts wider. Das weit gefasste Spektrum der Themen in den Werken Hildegards bietet eine umfassende Verhältnisbestimmung von Gott, Mensch und Welt. Im Gegensatz zu der sich etablierenden Form des philosophisch-theologischen Diskurses im 12. Jahrhundert, der Dialektik, entfaltete Hildegard eine metaphorische Sprache. Dadurch, dass sie für ihre Welt- und Daseinsdeutung Bilder verwendete, lotete sie das heuristische Potential der Wechselwirkung von Bild und Begriff aus. Bei ihren anthropologischen und kosmologischen Konzepten kommt der "rationalitas" eine Schlüsselfunktion zu, die sie mittels der biblischen Offenbarung theologisch erklärt. Zum Verständnis des hildegardischen Denkens bietet der vorliegende Band eine philosophiehistorische Verortung Hildegards im Kontext des 12. Jahrhunderts und eine Darlegung der prägenden Faktoren ihres Denkens. Die Interpretation der Werke erfolgt ausgehend von der Analyse der handschriftlichen Überlieferung und führt zu einer Skizze der Rezeptions- und Wirkungsgeschichte. Ausgewählte Texte ermöglichen eine eigenständige Reflexion zentraler Fragen in Hildegards Werk.
Über den Autor
Maura Zátonyi OSB, Benediktinerin der Abtei St. Hildegard in Eibingen. Geboren 1974 in Ungarn, studierte sie Klassische Philologie in Budapest, wurde 2011 in Mainz in Philosophie promoviert und absolvierte das Theologiestudium in Sankt Georgen/Frankfurt am Main. 2011-2012 hat sie an den theologischen Gutachten für das Verfahren der Heiligsprechung und der Erhebung Hildegards zur Kirchenlehrerin, der sogenannten "Positio", mitgearbeitet. Sie ist in der Hildegard-Forschung der Abtei tätig.